Unterwegs C 4. Zwischenstation

    

     du wirst mich

     Zeit deines Lebens

     auf der Müllkippe

     deiner Sehnsüchte

     wiederentdecken können

     wie ich im Schlafsack

     deiner verwunschenen Träume

     vor mich hin schnarche

    

 

Sprache entsprachlicht

 

denen die im Brüllen verschweigen

durch Schreien uns unserer Sprache

berauben um dann in unserem

Schweigen sich ihrer Sprache zu

entledigen und verhalten schweigend

unserem stummen Schreien lauschen

 

denen denen wir schweigend versagen

die sich selber im Schweigen vorsagen

um dann doch nur noch schweigend

zu versagen und in ihrem Schweigen

ihrer Wut und Hilflosigkeit entsagen

gar schweigend ihrer Sprache versagen

 

denen jedoch nicht die schreien

wo nur apathisches Stillschweigen

einer Sprache das Sagen entschweigt

und denen die durch ihr Schreien

das sprachlose Schweigen totschreien

um in der Totenstille dann vorzusprechen

 

Therapeutisierendes Gefasel

 

Freiheit, sagst du, käme aus dir, deinem Innersten

wäre gar ein Gefühl deines Bewußten und nicht etwa

eine Empfindung deiner unausweichlichen Flucht

und deinem veredelten Eingeständnis zu einem

unbewußten Etwas, wie dieser

deiner Selbstverwirklichung

 

dabei versteckst du dich doch nur

hinter Worten deren Sprachlosigkeiten

voller Zweifel stecken und die ach

so unsagbar sind in ihren Bedeutungen

wie der Deut in ihrer Vieldeutigkeit

 

denn Freiheit an und für sich

gibt es nicht, kann es nicht geben

so wenig wie es eine Selbstverwirklichung

allein und auf sich gestellt gibt

 

sie beide brauchen ein Ziel

für das sie sein können

das sie anstreben

nicht nur anreden

 

Befreit

 

keiner wähnt sich ewig

im Leben durch Tod

wie gleich so ähnlich

wie einmal so

keinmal

neutral

 

keiner weiß niemand ahnt jenes Wort

dessen Schweigen uns hält uns klammert

wie steife Finger klamm erstarrend

ohne Syntax ohne Sinn und Takt

so leer doch ganz ohne vergessen

 

verloren schlummert es allein

gelassen in Abwesenheit

säuselt ertrunken im Dunkel

im gänzlich tiefroten Weine

 

dieser falschen Flucht die nur verdrängt

aus Sucht die wähnt ohne

zu suchen die so abwesend ist

wie Tod ewig Ende

Leben ewig Beginn

 

Verkleidung

 

dieselben Worte sagen meine Gesten

dieselben Gedanken sprechen meine Wünsche

noch immer rätseln sie miteinander

noch immer verschweigen sie Wahrheiten

die unsagbar nachhallen nicht weiter wissen

die unter Brücken entgleiten wie Treibholz

eines längst vergessenen Hauses abgerissen

am Rande einer Stadt auf dem Wege hinaus

 

manchmal am Abend sehe ich alleinstehende

Wände blutig im Mondschein eines Dunkel

das umnachtend die gähnende Leere versenkt

sie in den Büschen ihres Verstecks hell bescheint

wie entgeisternder Phosphor Spuren erfaßt

deren Schweigen die Stille übertönen und in der

Nähe eines verspielenden Feuers Ferne schmecken

wie Moral Wahrheiten mit Lügen zerschreit

 

Schaufensterbummel

- für uns

 

schade auch

daß Totsein

so viel kostet

so wahnsinnig teuer ist

 

ein Anprobieren geht nicht

man ist als Ware

stets vom Umtausch

ausgeschlossen

selbst wenn die Größe

nachher nicht stimmen sollte

 

aber auch als Kostprobe

nimmt es sich ständig

so fatal einnehmend aus

entleert und ist dabei doch

stets ach so ausgefüllt

 

es nimmt zuviel weg

viel zu viel

läßt zu wenig zurück

viel zu wenig

und ist ewig

so verflucht permanent

 

Tote

 

sie sterben nicht, nein niemals

sie entschweben oder entgleiten

entschlafen oder entweichen

stets nur so, niemals anders

gehen sie von uns, gehen

uns voraus, gehen wegbereitend

immer nur so, stets nie anders

werden sie von uns genommen

werden sie weggeführt oder fortgetragen

und ach auch ewig zu etwas Besserem

 

ja und dann werden sie auch noch

aufgebahrt, einbalsamiert versteht sich

selbst auf der Endstation

der letztmöglichen Endgültigkeit

werden Wahrheiten verpudert

werden Realitäten erblindet

 

denn schließlich, endlich möchten wir ja

um Abschied nehmen zu können

so schrecklich, so frei von Wahrheit

uns am Verschönerten ergötzen

uns ergreifend, vergebend entschuldigen

 

da das Fragen nach Warum

so abgelegt und eingeworfen

zwischen unfair und ungerecht

unserem Abschied sein Willkommen entreißt

 

Das geht mir quer

 

die Leblosen

so voll, so wohl

so satt des Lebens

liegen schwerelos ausgefüllt

in ihren bläulichen Hüllen

jedoch sah ich sie nie

weder die entglittenen Bäuche

die eher grünlichen Nägel

noch die kraftlos verblichenen Münder

 

und sie starren mich dennoch an

hinter verschlossenen Lidern

während Hinterbliebene hinter peinlich

vorgehaltenen farblosen Händen

vom friedvollen Aussehen flüstern

 

und ich stehe aufschreiend davor

was denn da Tod

mit Frieden zu tun

haben könnte

 

Toten - klagen

 

erlebt hab ich sie wahrlich

seit langem schon und stets

aufs Neue holt sie mich

ein ums andere mal in ihre

Fänge um wieder zu spielen

mir mir und diesen Gefühlen

 

denn die leeren Gesichter der

Toten sprechen mich immer wieder

an hinterfragen bleiben wartend

ach ja so endlos abwartend zurück

während ich mich auf den Schwingen

meiner geistigen Umnachtungen auf

gefüllten Särgen leblos treiben lasse

 

in diesen Gesichtern die so leer geraten

verbirgt sich mein Ich spielt verstecken

verrät sich dennoch durch Herzklopfen und

blindwütender Erkenntnis aus Mangel an

Bildern

Worten

Gesten

 

währenddessen sich die Leere der Gesichter

mit Ausdrücken füllt und ach beklagen möchte

was in unbegreiflichen Gesichtern Beobachtender

ihnen als trauerndes Fragezeichen hinterherläuft

wie die Schuld vor der Hilflosigkeit der einengenden

Gebärden

Taten

Klagen

 

Warum nicht anders

 

eure Toten sind so still

dabei überfüllen sie uns

mit Fragen und Verwirrung

sie sind gar so leblos

dabei reden wir mit ihnen

und lauschen schweigenden Antworten

 

warum eigentlich hören wir nicht

auf unsere Nachbarn und lauschen ihnen

 

Schakjamuni

 

schattenhaft verwachsen

aufgewachsen

herangewachsen

 

erwachsen überschattet

und hast dennoch

-- schon als Kind --

vor dem Beginn deiner Reife

 

dich ungereift

dem Altern verschreiben müssen

so wie dereinst Hans

sich treibend dem Flusse verschrieb

 

so, Gott findet -- denkst du stets

nur an dich und deine Angst

aus der Angst und ihrer Unwissenheit herauszukommen

 

darum geben Sie Rat -- Hans --

bis sie dich in Raten

ihrem Erziehungsverrat einverleibt haben

 

aber am Ende magst du gar mehr erfahren

haben -- so du zwar nicht sitzend

nur treibend entschwindest

während Flußwasser deine Augen benetzt

und tränengleich an Vergangenes und Liebe

an Leben und Gewesenes erinnert

-- und mahnt

 

In der fremde

- für Uwe Kolbe im November >89

 

bin draußen

so ganz weit weg und draußen

ist nun mal nicht drinnen

muß draußen

sein um entfernt von außen

dies Drinnen zu lernen

 

muß erfahren

was hier und da entscheidet

halt das und so weit drinnen

bin erfahren

durch hier und da und dann und

so tief drinnen im Draußen

und dann ach

so gänzlich verfahren

 

Nuancierung eines Alptraums

oder: Erwachen einer imaginären Rede

- für Franz Fühmann

 

was einst niedlich

deswegen belächelt

heute drollig

dafür verlacht

 

grinst vor verhohlenen Nasen

so blaß im Gesicht

aus Angst zu empören

im Durst zu ersticken

 

hungert die Seele

aus und vorbei

rauscht um mächtig

aufzustoßen

 

um aus seiner Ohnmacht

erwachend noch

tiefer hinabzusinken

 

zu schrecklich zum

Zufriedensein da

abschreckend niedlich

 

Sauwetter

- für Stanislaw Ryniak, HN31

 

sagten sie während sie Bäume

fällten Kreuze schnitzten für die

Sünden eurer Väter und Gräber

aushoben ausnahmen kaum wegtrugen

 

plädierten in Endemie mit Worten

die Namen die Sterblichkeit entziehend

beschrieben und durch Euergie bewiesen

wie mittelbar Vernichtung werden mochte

 

Anarchie

- für Logo, 1989

 

die Moral haben ewig

nur die Nachbarn

die Gegenüber

anderen

 

vierundvierzig Jahre lang eine Zwietracht

um bessere Moral wie besessen doch

stets bedächtig immer nur bescheiden

denn was wären wir ohne dich ohne

uns geworden während wir wurden

 

weil

Moral nur Kindern raubt

was Erwachsene eh nie wurden

 

der eine wollte nicht der andere

konnte nicht so wie der eine

mußte während der eine nicht

so sollte wie der andere wollte

und zwischendurch waren sie

wer

 

doch blieb Moral diese

dreifarbige gestreifte

Fahne im Wind

 

die bessere

sowieso