Unterwegs C 5. Zwischenstation

    

     in deinen Tränen

     die leise fallen

     kann ich mein Spiegelbild

     erkennen und sehen

     wie es auf deiner Schuhspitze

     in tausend Teilchen zerspringt

    

 

Leere veraschen

 

so endlos weit

so unermeßlich

dann auch so heimatlos

und immer nur schwarz

stets nur verdunkelnd

so unheimlich nackt

so heimlich einnehmend

 

hierher kam ich

wurde ich gegangen

verlief ich mich auch

beim Ausziehen und

weggezogen bin ich

 

um sie jetzt aufzufüllen

mit Wärme und Licht\

um wieder einzuziehen

und ach gefüllt

mich tief in ihrem Schatten

 

anderweitig

andernfalls

 

zu sonnen

zu verbrennen

 

Moral doppeln

- für Addi Welsch

 

Hoffnung verzweifelt im Anblick

nackter Wirklichkeit unsere Seelen

verträumen ihre Verlorenheit gehen

fremd mit Illusionen eines Vielleicht

 

dennoch träumen wir weiter erleben

aufs Neue beleben den Tag und

verleben im Rausch ihn und die

endlosen Sekunden wie Tropfen

aus einer Uhr deren Glockenspiel

im Asphaltrauschen so fernab und

das Morgen hineinbimmelt während ach

das Gestern sich schallend davonschleicht

 

wir wie Menschen unterwegs auf den

lüsternen Höhenflügen unserer

Zeit entleeren uns in Wünschen nach

Mehr und Bedürfnis und Nimmersatt

 

mit Zuneigung so kalt wie der letzte

Ton eines schlechten Liedes und ekelnd

wie verkrochen in übersättigter Wut

 

mit Gier die sich vor Feigheit hinter

dem Spiegel versteckt und Aufrichtigkeit

die Tschüß sagte lange bevor sie ging

 

Stipvisiten

oder: Reeperbahn im 1-Minuten-Takt

 

wieder einmal mehr

tummeln sie sich

in deinen Schicksalssphären

 

schreiten taumelnd einher

halten geräuschvoll Einkehr

lullen dich sanft hinein

besänftigend und sanftmütig

ziehen dich tief

und immer tiefer hinein

 

mit ihren traumhaften Lüsten

in ihre träumerischen Versprechungen

flüstern dabei gehalten

hinter ihren vorgehaltenen

spanischen Wänden

 

deine unerfüllten Sehnsüchte

treiben dich mit ihren Trieben

in die offenstehenden Arme

ihrer harrenden Selbstlosigkeiten

 

und

nüchtern

und

schwül

 

ausgeschwitzt und kurzatmig

verraten sie

sich dann

 

durch ihr gurrendes Grunzen

 

Nachteinbruch in deiner Stadt

 

deine Luft schmeckt so salzig

überall riechst du nach Meer

deine Straßen und Brücken

verlieren sich im Dunkel

während sich gerade die Türen

des Kontakthofs geräuschvoll öffnen

 

die Nacht begehrt hier Einlaß

und du rollst den Teppich aus

führst sie von deinen Straßen

hinein in deine Schlünde

während der Regen die Straßen wäscht

und im Gully der Wohlstand laut rülpst

 

Nachdenken über Deutschland

 

über dich und deine Geschichtsmache die mir

heute in Bourtagne wieder begegnete mich heraus

aus meinem Erleben riß und zurückbrachte

jäh ernüchternd und immer wieder ausweglos

 

etwas wie Scham so ganz roh komplett und kaputt

schnürte mir die Kehle zu belegte dann

seine Anwesenheit mit Wolken Sonne Regen

nur um in der Fremde mich als Fremden jäh zu verlassen

 

Heimatdenken

 

deine Abwehr so aus Fassaden

die kein Wahnsinniger je erklettern kann

bestürmen mich mehr von innen her

verlassen mich außen dann in deinem Bann

 

in dieser Fessel versuchst du mich

entziehst mir Freiheit und so leer und banal

baust links und rechts riesige Wände

und vergißt mich dann in deinem Erdental

 

Deutsch-deutsche Enthaltung

 

die Revolution ist am Ende in euren

Schrebergärten verließ sich ihr Maß

an Freiheitsdrang und Schweißtropfen

so zerbrochen wie Licht in der Urne

die Asche der Väter die restlos zerstäubt

wenn zuletzt auch ganz überschön zerstreut

 

das Rot der Sonne verblutet die feuchten

Tränen herzloser Fremden versüßen nur

die Blätter der Rosen umrahmen Düfte

buntbesäter Felder weichen Fleisches

wo Kirschblüten ihre Kerne schmecken

während der Efeu vergebens zu seinen Wurzeln räkelt

 

wahr und blieb haftig so schlafend so weiß

verliert sich die Suche nach Lippen die euch

nie einen Abschied geküßt ein feuchtes Glück

gelassen allein in Decken und Bunkern zurück

schluckt euch die Angst erstickt und bedreckt

wie der abgelaufene Aufstand in euren Gräbern

 

Neo-dazumals

 

ihr Stechschritt trägt heute Jeans und Sportschuhe

nagelt nach wie vor doch auf leisen Sohlen

er ist kaum weicher denn wie einst die Braunen

und schreit dazu dieselben Marschparolen

 

ihr Tun erhellt sich im Schein jener Cocktails

die niederträchtig ihre Ziele fanden

als Argumente dreschen sie nur Sprüche

wolln das Ludervolk raus aus diesen Landen

 

gleich wie einst da klatschen Bürger mit und gröhlen

bekunden massenhaft die Gleichgesinntheit

verstecken sich mit ihren Unschuldsmienen

hinter den Mauern gläserner Menschlichkeit

 

(Her)Auswanderung

 

zum Leben kam ich her

und ließ dabei

mein Sterben

zurück

 

schon damals so kalt

noch heute so eisig

 

wie Särge

die aufgemöbelt

verschreinert und gar entschlossen

 

wie Hinz und Kunz

wie Braunhemd und Knobelbecher

 

auf eure Gräber

mein Zuhause

warten und harren

der Vergangenheit

die der Zukunft

in Lügen entflieht

wieder immer wieder

die als Heute

im Jetzt verfliegt

 

Amerika

- so pathetisch

 

eure Grenzen zäunen Menschlichkeit aus verlachen

jene die verstummten Rufen folgten um zu leben

wo ach denselben vertierend der Garaus vermacht

was Ignoranz und Ausfall demokratisierend verstauchten

fern einer Mittelmäßigkeit

so huschelig, so hussend

 

eure Weite ist ach so tragisch so lautlos leer

in ihr sonnt sich ein Sand ein Stein noch

brennt sich ein unfaßbares Vakuum lachend

ein fest so gänzlich versengend erstickt sandig

fremdes Verlangen sehnsüchtig

vergessend auf dem Weg

 

in eurem Land fließt so ihr glaubt Milch und Honig

so ihr sagt und die Durstigen fragen sich und erst

recht die Hungrigen ja wo denn und warum

überhaupt ach ja warum sollten sie noch harren

bleiben wartend liegen

resignierend zurück

 

in euren Städten wohnen Durchschnitte am

Alltag vorbei leben Privilegierte auf deren

Schultern hausen Reste unter euren Fußmatten

werden tagsüber festgetreten nachts übersehn

verbeugen sich als Besuch tiefst

vor nacktbunten Fassaden

 

und - allesamt und alledem

mit einem Oh bald einem Ah

und verstummt im Anschrei

einer fröstligen Banalität

verflüchtigt die Erkenntnis

sich und ihre lang abgekargte

Über(hebliche)menschlichkeit

 

Soldaten

   oder

 Früher

   oder

 Später

 

durch Ihre Prinzipien lassen sich keine

Entscheidungen treffen

Entschließungen fallen

Inhalte leerend füllen

 

sie ersticken in Ihren eigenen Fragwürdigkeiten

unsres indischen Zwiespalts

islamischen Streitgesprächs

katholizierten Aberglaubens

 

denn in Ihrer Bereitschaft zu bedingungslosen Kompromissen

klopfen sie an eure Tür und warten

auf sich eröffnende Fenster

klingeln sie an Toren und lauschen

dem totgeschwiegenen Geläut

sehen im besänftigenden Choleriker

ihre unverstandenen Seelen

 

selten bürokratisieren sie ihre kartätschene Hebephrenie

schon reiten sie auf der Schwippe

kommandierender Empfehlungen

schwofen im siegestaumelnden Unverständnis

ihrer lüsternen Kriegspsychosen

erbrechen im obligat kriminogenen Gewissensbiß

mütterliche Jungfräulichkeiten

 

Worauf warten wir noch hier?

- allen weißen Rosen

 

nicht auf Gefühl, nicht auf ein Ziel

nicht einmal auf den letzten Gang

nicht auf die Zeit, die endlos weit

schon gar nicht auf den Abgesang

 

oh nein, wir harren nicht der Ding=

auf Morgen, Sonne und auch Licht

wir dauern hier und im Gedräng=

und üben Dulden und Verzicht

 

uns folgt man kaum zu unsrem Ziel

wer will denn schon mit Wahrheit gehn

uns hört man zu, doch nie so viel

daß wir das Recht zu Recht erstehn

 

doch schrein wir lauter immerzu

und wecken dann vielleicht auch dich

uns geht=s um=s Tun, wir geben=s zu

das Siegen ist uns widerlich

 

nur einmal wollen wir euch hörn

den Aufschrei und den Widerstand

ein Volk vereint aus Nah und Fern

das dann die Lügen hier verbannt

 

Von Märchen und Mären

- für Franz Fühmann

 

umzingelt und gerahmt

von Oberflächlichkeiten

versprochen durch Worte

deren schnelle Einsamkeiten

der Leere und der Unrast

in uns frohlockt widersprechen

 

verneigen wir uns tief

vor den Weisen eines Volkes

zollen schaler Weisheit

ihre verwunschene Gebühr

und entschwinden lautlos

in den Lügen der Illusion

 

denn Märchen die gut tun

Gutes tun durch Wundersames

durchlaufen die Sehnsucht

auf Beinen kürzer als Lügen